Kontext
Das Pattern wurde mit Bachelorstudierenden im Fach Literaturwissenschaft Germanistik erprobt, die es gewohnt waren, eher historisch als theoretisch zu arbeiten. Das Arbeiten mit einer Theorie- und Methodenpluralität war ihnen daher weniger vertraut.
Problem
In Seminaren wird meist nur mit Analysemethoden aus einer methodischen Schule gearbeitet, die die Dozierenden vorausgewählt haben. Ein direkter Vergleich der Anwendungsergebnisse verschiedener Methoden oder Überlegungen zur Kompatibilität der Vorgehensweisen finden selten statt.
Wirkkräfte
Im Fach existieren meinungsstarke theoretische Schulen, die sich grundsätzlich unterscheiden. Einige erlauben nur bestimmte Endprodukte (Playmobil) andere erlauben so viele Lösungswege wie durch die Kombination der Elemente möglich (Lego). [Diese Unterscheidung geht zurück auf Umberto Eco, Lector in fabula: Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten , München, 1987, S. 69] In verschiedenen geisteswissenschaftlichen Fächern hat die „Verschulung” des Feldes, d.h. die Ausdifferenzierung konkurrierender theoretischer Schulen Auswirkungen auf Lehre sowie Lehrbücher. Lehrende haben sich zumeist innerhalb einer theoretischen Schule spezialisiert. Auch in Lehrbüchern ist häufig eine Engführung auf nur eine Methode von einer theoretischen Schule zu beobachten. Dies führt dazu, dass Studierende oft nur eine Methodik aktiv kennenlernen und erproben, anderen Methodiken meist nur kognitiv in Einführungsvorlesungen begegnen.
Lösung
Studierende bilden zwei Expertengruppen, die mit je einer Analysemethode an denselben Texten arbeiten und die Ergebnisse vergleichen. Dabei kontrastieren und reflektieren sie die Erträge der ausgewählten Analysemethoden.
Details der Lösung
Die Seminarleitung wählt als Gegenstand gut kontrastierbare Schulen des Fachs aus, die sich in ihren theoretischen Annahmen sowie in ihrer Analysemethodik unterscheiden.
Im konkreten Seminar wurde eine gut kontrastierbare Grunddichotomie zwischen einer französischen strukturalistischen Theorie und einem deutschen organizistischen Modell ausgewählt. In der ersten Sitzung wird diese Grunddichotomie von der Seminarleitung erläutert.
In den ersten Sitzungen des Semesters werden Grundzüge der Theorien sowie der damit verbundenen Analysemethodiken vorgestellt. In je zwei Sitzungen pro Theorie werden von den Studierenden in Gruppenarbeit vorher gelesene und exzerpierte Texte zu den Theorien besprochen und kleine Anwendungsaufgaben mit der Analysemethodik bearbeitet.
Die Ergebnisse der Gruppenarbeit werden im Plenum verglichen und im Anschluss an die jeweilige Sitzung von den Studierenden in einem Kurs-Wiki gesammelt.
Damit wird bereits die Arbeitsweise für den Rest des Semesters eingeübt: Input durch die Seminarleitung (Zusammenfassung der letzten Sitzung, Teaser oder Klärung offener Fragen, dann Gruppenarbeit, dann Vergleich der Ergebnisse im Plenum, abschließend Aufzeichnen der Ergebnisse im Wiki).
Nachdem die Studierenden die Theorien kennen gelernt haben, entscheiden Sie sich individuell für eine theoretische Schule, mit der sie den Rest des Semesters analytisch weiter arbeiten wollen.
Die Sitzordnung wird entsprechend angepasst, die Studierenden verlassen ihre Arbeitsgruppen und sortieren sich neu in methodisch homogene Gruppen an verschiedenen Gruppentischen (bei großen Gruppen mehrere Gruppen pro Schule).
Die Entscheidung darf im Laufe des Semesters auch verändert werden, Studierenden dürfen das „Lager“ wechseln.
In den folgenden Sitzungen im Semester analysieren alle Arbeitsgruppen dieselben Texte in Gruppenarbeit und vergleichen die Ergebnisse im Plenum. Wichtig ist, dass die Ergebnisse eine vergleichbare Form haben, die den Studierenden bekannt ist. Im konkreten Fall war beispielsweise das Ziel der Analyse jeweils das Entwickeln von Thesen und ersten Argumentblöcken.
Die Ergebnisse der Gruppenarbeit werden am Ende der Sitzung jeweils verglichen. Dabei kommen üblicherweise die folgenden Fragen auf: Werden von den verschiedenen Methodiken ähnliche Phänomene aufgedeckt? Werden diese ähnlich genau beschrieben? Ergänzen sich die verschiedenen Methodiken stellenweise? Unterschieden sich die Schulen in ihren Grundannahmen aber nicht in der Methodik?
Die Thesen, Argumentblöcke und Ergebnisse der Theorievergleichsdiskussionen werden von den Studierenden in einem seminarbegleitenden Wiki gesammelt, um ihnen nachhaltig zur Verfügung zu stehen.
Folgen (Vorteile, Nachteile)
Vorteile:
- Die Studierenden erproben die Anwendung einer Methode, lernen aber parallel Anwendungsergebnisse einer anderen Methode kennen.
- Die Studierenden schulen ihre Selbstwahrnehmung: Welcher Theorieschule neige ich aufgrund von kognitiven Argumenten zu, mit welcher kann ich methodisch besser arbeiten.
- Trennschärfe in der Argumentation wird geschult: aus welcher Theorie argumentiere ich tatsächlich.
Nachteile:
- Die Ergebnisse der Gruppenarbeit könnten verzerrt sein, wenn das Leistungsniveau in den zwei Gruppen sich stark unterscheidet.
- Es wird nur eine Methode praktisch erprobt.
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